Netanjahu lehnt einen Austausch von Geiseln und palästinensischen Gefangenen ab. Das könnte bedeuten, die überlebenden Geiseln im Stich zu lassen.

Bringt sie zurück nach Hause – man liest es auf Plakaten in israelischen Straßen und an Laternenpfählen in New York. Die Bilder von Kindern, Männern und Frauen, die derzeit von der radikalislamischen Hamas als Geiseln im Gazastreifen festgehalten werden, gehen um die Welt. Der Horror, den die Geiseln und ihre Angehörigen derzeit durchmachen, ist nur schwer vorstellbar.

Je mehr Bomben auf Gaza fallen, desto größer wird das Bangen der Familien. Die Militäroffensive Israels, so die Sorge der Familien, könnte die Geiseln gefährden und einen Deal erschweren.

Medienberichten zufolge hat die Hamas einen Gefangenenaustausch vorgeschlagen: alle palästinensischen Gefangenen in israelischen Gefängnissen – das sind mehrere Tausend Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen – gegen alle israelischen Geiseln. Die Familien drängen darauf, dass Israel diesen Deal annimmt. Doch Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Yoav Gallant sind davon weit entfernt. Ein Austausch „alle gegen alle“ sei illusorisch, so Gallant am Sonntag. Viele Familienangehörige übersetzen die Äußerungen mit: Der Preis ist zu hoch.

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Doch dreht man den Satz „Der Preis ist zu hoch“ um, bedeutet dies, jetzt konkret das Leben von mehr als 200 Menschen zu opfern – für eine vermeintliche zukünftige Sicherheit des Landes. Dabei ist alles andere als klar, dass die Sicherheit des Landes durch heftige Bombardierung des Gazastreifens erreicht werden kann. Auch die USA bremsen und fordern von Israel einen Plan für den Tag danach – sollte es Israel gelingen, die Hamas zu zerstören. Es brauche eine Vision dessen, was danach kommt, sagt US-Präsident Joe Biden.

Diese Vision fehlt der israelischen Regierung auch für die Geiseln. Sie übersieht, dass die Frage nach den Geiseln in doppelter Weise existenziell ist: Es geht um das Leben der Geiseln – aber auch um die Frage, in welchem Land die Israelis in Zukunft leben werden: in einem Land, das die Geiseln gerettet hat, oder in einem, das sie und die Familien im Stich gelassen hat. Sollte es wirklich dazu kommen, dürfte dies auch das Land unrettbar zerreißen.

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    8 months ago

    Das ist eine Abwägung und erfordert gesellschaftliche Diskussion. Du kannst nicht einfach sagen, “so wie ich das sehe ist das allgemeingültig und fertig”. Genau darum geht es in dem Artikel. Viele Menschen dort wollen, dass niemand zurückgelassen wird und über die Freilassung verhandelt wird. Wenn die Regierung sich entscheidet, die eigene Zivilbevölkerung bei Geiselnahmen möglichen Kriegserfolgen zu opfern, dann hat das Konsequenzen für die Angehörigen und für alle anderen, einfach weil der Staat sagt: wenn du aus unserem Machtbereich raus bist, dann bist du für uns gestorben und kannst dich nicht darauf verlassen, dass wir alles unternehmen, um dich zu retten.

    Die Regierung muss abwägen zwischen “wir verhandeln nicht mit Terroristen” und “wir lassen niemanden zurück”. Vielleicht hat die Regierung die Mehrheit hinter sich bei der Entscheidung. Aber ein großer Teil der Gesellschaft sieht das eben anders.

    Viele Superheldenfilme schöpfen aus dem Spannungsfeld, wobei grundsätzlich die “Guten” niemanden zurücklassen dürfen, weil es ihnen immer mehr darum gehen muss, Leben zu retten als darum, das “Böse” zu besiegen. Ich glaube nicht, dass diese Vorstellung von gut und böse und damit von richtig und falsch nur auf die Fantasie beschränkt ist, sondern dass viele Menschen das genau so vertreten.